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Artikel / Berichte

Über Kartenglück
Magic Karten Beobachtungsliste 
Henning Kurella
29.03.2013
Heute möchte ich mit euch ein wenig über Kartenglück sprechen …
Das Thema wird gewöhnlich von vielen lieber gemieden, weil die Behauptung, dass bei Magic das Kartenglück zwischen Sieg und Niederlage entscheidet, nicht gern gehört wird. Ich werde zunächst darüber reden, warum diese Behauptung sowohl wahr als auch falsch ist. Da ich mich selbst viele Jahre mit anderen Kartenspielen auseinandergesetzt habe, glaube ich, ein wenig über die Prinzipen der Analyse von Kartenspielen allgemein erzählen zu können. Am Ende des Artikels solltet ihr eure Siege und eure Niederlagen idealerweise aus einer etwas anderen Perspektive sehen können. Vielleicht werdet ihr auf dem nächsten FNM sogar ein wenig anders spielen und dadurch gewinnen. Oder vielleicht spielt ihr anders, verliert und wisst, dass ihr euer Bestes gegeben habt. In jedem Fall könnte euch dieser Artikel zu einem besseren Spieler machen, ohne dass ich hier eine einzige Deckliste poste.


Glück ist in Magic ein entscheidender Faktor. Vereinfacht gesagt: Je nach Aufbau des eigenen Decks verliert man etwa zwei von zehn Spielen durch Manascrew oder -flood, das heißt, weil man zu wenige/unpassende oder zu viele Länder zieht. Entsprechend gewinnt man aber auch zwei von zehn Spielen, weil der Gegner screwed oder flooded ist. Am Ende ist in den anderen Spiele jedoch entscheidend, wer das bessere Magic spielt. Darum sind größere Turniere auch so aufgebaut, dass man etwas weniger als jede vierte Runde verlieren kann und trotzdem unter die Topspieler fällt. Klar hat man ab und zu mal einen schlechten Tag und verliert ganze sechs aus zehn Spielen wegen Manaproblemen. Doch das ist für andere Leute nicht anders. Oben sitzen immer Topspieler, es sind aber nicht immer die gleichen. Der richtige Schluss aus dieser Tatsache ist, dass man viel spielt. Selbstverständlich spielt Glück kurzfristig eine Rolle. Auf lange Sicht sind die guten Spieler aber immer wieder vorne dabei. Also ärgert euch nicht über den Zufall. Arbeitet lieber an dem, was ihr beeinflussen könnt!

Die Analyse von Kartenspielen ist eigentlich recht trivial. Die notwendigste Mathematik ist mit einfachem Schulwissen zu bewältigen, aber dennoch spielen nur die wenigsten auf absolutem Topniveau. Das liegt zum einen natürlich an den reichlich komplexen Interaktionen, andererseits an den fehlenden Informationen über die gegnerischen Handkarten oder auch die eigenen, die man als Nächstes zieht. Wenn ich nicht weiß, was auf mich zukommt, wie kann ich dann wissen, was richtig und was falsch ist? Magic verhält sich da recht ähnlich zu anderen Kartenspielen und daher können wir uns in diesem Artikel ein paar Erkenntnisse ausleihen und sie auf Magic übertragen.


Odds und Outs

Ich höre auf unseren FNMs immer wieder das Wort „Out“ und manchmal ist die Rede von „Odds“. Geht euch das vielleicht ähnlich? Falls ihr nicht wisst, was damit eigentlich gemeint ist, hier zwei Definitionen, nicht speziell auf Magic zugeschnitten, aber durchaus für unsere Zwecke zu gebrauchen:

Ein Out ist irgendeine bisher ungesehene Karte, die, wenn sie gezogen wird, die Hand des Spielers zur Siegerhand macht.

Die Odds, dass ein Ereignis eintrifft, sind durch die Rate, dass das Ereignis eintrifft, im Gegensatz zu der Rate, dass das Ereignis nicht eintrifft, angegeben.


Mal ein Beispiel. Werfe ich eine Münze, sind meine Odds auf Kopf eins zu eins. In einem Fall bekomme ich Kopf, in dem anderen Zahl. Bei einem sechsseitigen Würfel ist die Chance auf eine Drei ganz einfach: eins zu fünf. In einem Fall werfe ich die Drei und in fünf Fällen eben nicht.


Entsprechend sind Outs also die Karten, die mir sehr wahrscheinlich zum Sieg verhelfen. Die Odds sind ferner die Wahrscheinlichkeit, dass ich ein Out ziehe. Einfaches Beispiel: Mein Gegner kann mir im nächsten Zug definitiv tödlichen Schaden verursachen. Wir sind beide ohne Handkarten bei drei Leben, ich enttappe und darf eine Karte ziehen. Ich habe noch 30 Karten in der Bibliothek und drei davon sind Searing Spear. Ich habe also drei Outs.

Nun berechnen wir die Odds, einen Searing Spear zu ziehen. Drei Karten helfen mir, 27 nicht; drei aus dreißig Karten bringen mir den Sieg. „What are the odds?“ Drei zu 27! Wie ist dazu die Wahrscheinlichkeit? Wahrscheinlichkeiten werden mit einem kleinen p angegeben. Um unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten zu unterscheiden, gibt man dem p einen Namen, indem man etwas dahinter in Klammern schreibt. Ist p gleich eins, ist die Wahrscheinlichkeit gleich 100%. Ist p gleich null Komma fünf, ist die Wahrscheinlichkeit 50% und so weiter.

P(Spear, direkt)=3/30=0,1

Ich habe also eine Wahrscheinlichkeit von 10%, ein Out zu ziehen und das Spiel direkt zu gewinnen.


Cantrips

Was ist ein Cantrip? Jede Karte die mir sagt, „Ziehe eine Karte“, ist als Cantrip zu bezeichnen. Der wichtige Punkt ist also, dass die Karte sich selbst ersetzt. Cantrips verändern nicht die Zahl der Outs, die man in einem Deck hat. Allerdings geben sie einem die Möglichkeit, ein weiteres Mal zu ziehen. Manche Cantrips kann man bei der Betrachtung der Odds und Wahrscheinlichkeiten einfach rausrechnen. Cremate ist hier das beste Beispiel. Insofern man Anwendung findet und das Mana übrig hat, ist Cremate eine Karte, die das Ereignis weder herbeiführt noch verhindert. Haben wir im obigen Szenario zusätzlich zu den drei Speeren ein Cremate im Deck, könnte man die Odds als drei zu 26 betrachten. Die Wahrscheinlichkeit, Searing Spear zu ziehen, verändert sich auf:

P(Spear, Cantrip)=3/290,103

Cantrips verkleinern also effektiv die Deckgröße, während der Effekt des Cantrips oft in Synergie zu meinem Deck stehen kann. Auch wenn es sich hier nur um einen Bruchteil eines Prozents handelt, können mehrere Cantrips in einem Deck häufiger einen großen Einfluss auf den Ausgang eines Spiels haben, als man glaubt.


Die Bibliothek manipulieren

Was ist aber, wenn ich Thought Scour statt Cremate ziehe? Ich habe reichlich Mana, um es direkt anzuwenden. Spiele ich Thought Scour nun auf mich oder meinen Gegner? Macht es einen Unterschied, wenn es Mental Note wäre? Immerhin könnte ich ja einen Searing Spear verlieren!


Nun, dahinter steckt ein beliebter Trugschluss. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Searing Spear oben auf meiner Bibliothek liegt, ist genauso groß wie die Wahrscheinlichkeit, dass die dritte Karte von oben ein Searing Spear ist. Allgemein gesagt sind alle Positionen der Speere in der Bibliothek gleich wahrscheinlich. Das verhält sich ein wenig wie mit %B6dingers_Katze target='_blank'>Schrödingers Katze. Bis man nachgeschaut hat, weiß man nicht, ob die Katze tot oder lebendig ist. Beide Spieler (oder eben die Katze) sind nur zu einer gewissen Wahrscheinlichkeit futsch! Eigentlich könnten wir auch Magic spielen, indem bei jedem Ziehen ein Gegner eine beliebige Karte aus der Bibliothek nimmt und dem Spieler diese verdeckt gibt. An der Wahrscheinlichkeit, einen Searing Spear zu ziehen, ändert sich nichts! Okay, dann würden Sprüche wie Ponder nicht mehr wirken, aber ich denke, es ist jetzt klar, was ich damit meine.

Im Hinblick darauf, Searing Spear zu ziehen, ist es irrelevant, wen ich mit dem Thought Scour anziele, da jede Karte in meiner Bibliothek zu gleicher Wahrscheinlichkeit ein Searing Spear ist. Die Fälle, in denen eine der Karten, die man in den Friedhof befördert, ein Speer ist, und die Fälle, in denen man gerade dadurch erst die unnützen Karten entfernt, um den Speer als dritte Karte zu ziehen, gleichen sich insgesamt exakt aus. Ebenso ist es irrelevant, dass man – in anderen Situationen – mit einem Augur of Bolas häufig auch mal eine wertvolle Karte unter die Bibliothek legt. Genauso oft gräbt man sich bis zu ebenjener Karte durch.

Aber zurück zu Ponder: Sobald ich die oberen Karten auf meiner Bibliothek beeinflussen kann, beeinflusse ich auch die Wahrscheinlichkeit eine Karte zu ziehen. Habe ich in unserem Beispiel noch ein Ponder im Deck und ziehe diese Karte, sehe ich auf einmal die nächsten drei Karten und auf Wunsch kann man vor dem Ziehen noch einmal mischen! Ich erhöhe die Wahrscheinlichkeit auf Searing Spear also grob auf das Vierfache! Wir können das aber auch einmal genau ausrechnen. Wem das zu viel wird, kann aber gerne direkt zur nächsten Überschrift springen.


Angenommen, man zieht direkt Ponder, liegen noch 29 Karten in der Bibliothek. Jetzt schaut man sich die obere Karte an. Das ist in drei aus 29 Fällen ein Searing Spear. Ist es keiner, ist die nächste Karte in drei aus 28 Fällen einer. Die dritte Karte ist dann in drei aus 27 Fällen ein Searing Spear, wenn die ersten beiden keine waren. Hat man irgendwo einen gefunden, legt man den nach oben und verzichtet auf das Mischen. Hat man keinen Spear gefunden, mischt man und hat danach wieder in drei aus 29 Fällen einen Speer in der Hand. Rechnen tut man das nun einfach folgendermaßen (ich will hier nicht zum Mathelehrer mutieren, also keine Herleitung):

P(Spear nach Ponder)=3/29+26/29×3/28+26/29×25/28×3/27+3/290,392

Ziehe ich ein Ponder, finde ich also zu etwa 39,2% einen Searing Spear in den verbliebenen 29 Karten meiner Bibliothek und gewinne das Spiel. Das ist mal ein ganz netter Boost gegenüber den 10,3%, wenn ich stattdessen Cremate oder Thought Scour ziehe, nicht wahr?


Den Friedhof nutzen

Angenommen, ich habe im obigen Beispiel nun zusätzlich zu den drei Speeren noch jeweils ein Exemplar von Thought Scour und Think Twice in meiner 30-Karten-Bibliothek und ziehe jetzt das Thought Scour. Jetzt wird's aber spannend, denn ich könnte ja Think Twice in meinen Friedhof bekommen. Normalerweise ist Thought Scour nichts weiter als ein Cantrip, mit Think Twice wird daraus jedoch etwas mehr und dann ist es sogar besser (statt nur genauso gut), die eigene Bibliothek mit Thought Scour anzuzielen. Ich erspare uns einmal die Rechnung, um wie viel Think Twice hilft. Es wird kein so großer Satz wie bei Ponder sein, aber ich denke, jeder hat jetzt ein anderes Bild von diesen Cantrips.


Grisly Salvage und Mulch sind zwei weitere Kandidaten, die den Friedhof auf sehr angenehme Weise mit dicken Brocken füllen können. In den neuen, alten Reanimatordecks sind diese Karten mehrfach vertreten. Es ist schon erstaunlich, wie schnell man sich aufgrund dieser beiden Karten durch seine Bibliothek zieht. Im Nu hat man 20 Karten seiner Bibliothek gesehen und kann einen Angel of Serenity oder Craterhoof Behemoth mittels Unburial Rites auf den Tisch knallen. Zu dem Deck möchte ich vielleicht nächsten Freitag etwas mehr sagen.

Der Friedhof ist nicht nur ein Ablagestapel für verbrauchte Sprüche und abgemurkste Kreaturen. Es gibt in vielen Formaten Karten, die den Friedhof füllen und einen gefüllten Friedhof gut verwerten können. Wenn ihr euch also Gedanken über Kartenvorteil machen wollt, dann denkt doch auch mal über euren Friedhof nach!

Zum Abschluss möchte ich unbedingt noch einen Teil hinzufügen: Menschen tendieren dazu, sich negative Ereignisse besser zu merken und zu Herzen zu nehmen. Das scheint ein Mechanismus zu sein, der uns anhält, aus solchen Situationen zu lernen. Für Kartenspieler äußert sich das aber so, dass man denkt, der vom Pech verfolgte zu sein und viel zu selten das Glück auf seiner Seite zu haben. Das ist aber einfach nicht wahr! Klar hat man mal Glück oder Pech, aber wenn es auf längere Sicht nicht gut läuft, dann macht man wahrscheinlich doch zu viele Fehler. Wenn es nicht vorangeht, fragt doch eure Mitspieler! Häufig sehen andere die eigenen Fehler viel klarer als man selbst. Aber wenn man regelmäßig zum FNM geht und sein Bestes gibt, wird man am Ende des Jahres die meisten Planeswalker-Punkte haben, der erste in der Jahreswertung des Ladens sein und obendrein auch ein lokal angesehener Magier werden.

Frohe Ostern und bis zum nächsten Freitag. Ich freue mich schon, euch mein neues Lieblingsdeck vorzustellen.

Henning